von Stefan Leppert

Zum Tod von Richard Bödeker

Mit Richard Bödeker hat eine im wahrsten Wortsinne überzeugende Persönlichkeit diese Welt verlassen. Er war überzeugt davon, dass er Gutes tat: Gärten anlegen, Landschaft gestalten, Städte begrünen. Und er konnte Menschen überzeugen. Menschen, die standen stets im Mittelpunkt seiner Arbeit als Landschaftsarchitekt.

Als Sohn eines Baumschulgärtners 1934 in Lehrte geboren, verlebte er in dem gärtnerischen Umfeld eine glückliche Kindheit. Dort trug sich auch ein prägendes Ereignis zu. Als er im Alter von neun Jahren in der Gärtnerei eine Wild-Orchidee fand, war gerade Wilhelm Hübotter zu Besuch. Hübotter gehörte neben Alwin Seifert, Heinrich Wiepking und Hermann Mattern zu den vier Säulen der deutschen Gartenarchitektur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. „Bödeker, bring mir mal den Jungen“, soll Hübotter dem Vater gesagt haben, und Bödeker kam in der Tat seitdem nicht mehr von Orchideen los und von Hübotter auch nicht.

Der Scheidung seiner Eltern 1948 fiel die Gärtnerei zum Opfer, von dem Reichtum seines Urgroßvaters, dem vermögendsten Mann der Stadt seinerzeit, war nichts mehr geblieben. Der manisch depressive Vater nahm seinen ältesten Sohn Richard von der Schule, doch ohne ihm eine Perspektive zu geben. Richard Bödeker war kein guter Schüler gewesen, aber nicht, weil es ihm an Intelligenz mangelte, sondern weil ihn vielfach andere Dinge interessierten als die, die auf dem Lehrplan standen. Er war vor allem furchtlos und entdeckungsfreudig, „ein kerniger, kräftiger Bursche“, wie er sich kürzlich selbst erinnerte. Er kümmerte sich um Pferde, wurde vom ehemaligen Ausbilder der Hannoverschen Kavallerieschule ausgebildet und geschliffen, er konnte gut reiten, „sogar wie ein Indianer von hinten auf’s Pferd springen!“

Durch die Versetzung von der Gärtnerei Mehrholz in Sehnde bei Hannover kam er ins Bergische, nach Solingen. Der schon kräftig gebaute Lehrling Bödeker hatte dem Gärtner Mehrholz Junior handgreiflich zu verstehen gegeben, dass er ordentlich behandelt werden wollte. Daraufhin schickte Mehrholz Jr. seinen Azubi zu seinem Vater nach Solingen. Dort teilte er sich das Zimmer mit einem Amateurboxer, der ihm „die richtigen Schläge beibrachte.“ Die erste wirklich menschliche Behandlung wurde ihm erst in der Schweiz zuteil, in die er nach seinem Gesellenjahr in Solingen fuhr, mit seiner Zündapp Bella, zur Gärtnerei Bühler im Kanton Aargau. Die Gärtnerei existiert noch heute. Mit 20 Jahren wechselte er zur Gärtnerei Brugger in Hunzenschwil, wo er auf dem Wochenmarkt in Olten einen Blumenstand betreute, in der übrigen Zeit oft als Friedhofsgärtner arbeitete. „Als Totengräber musste ich mich manchmal durch zwei Lagen Skelette graben. Die am besten erhaltenen Schädel habe ich gesammelt“, erzählte er einem Buchautor.

Nach der Schweiz trieb es ihn nach England. Seine Annonce wurde gelesen, er kam zum Adelssitz Barn Hill in Devon und hatte den Schneid, den englischen Gärtnern Gartengestaltung à la Bödeker zu zeigen. Zu allererst ließ er eine einhundertjährige Eibenallee entfernen und den zugewucherten Wald aufräumen. Das hieß etwas, denn bei der Gartenanlage in Barn Hill soll kein geringerer als Capability Brown die Finger im Spiel gehabt haben, das Non Plus Ultra der Gartenarchitekten aller Zeiten in England. Das bedeutete dem jungen Gärtner nichts, es ging ihm um Gestaltung, nicht um Namen. Zum 9-Uhr-Tee zog er sich stets um, denn er durfte in der Halle der Lady Corless Gesellschaft leisten und über Gartenbau parlieren. In England verlor er sein Interesse an Orchideen. Er war auf den Geschmack gekommen, er hatte gemerkt, dass er Gärten gestalten konnte.

1956 kehrte er zurück nach Deutschland, denn er wollte mehr als nur Gärtner sein. Umgehend schrieb er Wilhelm Hübotter und fasste sich kurz: „Ich möchte Gartenarchitekt werden. Wo wird man das?“ Und weil Hübotter ihm Geisenheim empfahl, weil es zwar nicht die beste, aber die schönste Schule war, studierte er dort. 1959 ging er nach Hamburg, zum Tor zur Welt, auf der Suche nach einem guten Büro. Das fand er, fing an bei Gustav Lüttge, der neben Karl Plomin und Günther Schule zu den drei bedeutenden Büros der Hansestadt zählte. Er hatte keine Angst geschliffen zu werden, er wollte, eine gewisse Freundlichkeit vorausgesetzt, geschliffen werden. Richard Bödeker verstand sich ausgezeichnet mit Gustav Lüttge, hatte aber immer den Kontakt zu Wilhelm Hübotter gehalten. Mit Hübotter und drei weiteren jungen Männern arbeitete er 1960 an einem Wettbewerb und die Gruppe gewann. Obwohl Richard Bödeker schon wieder seine Fühler ausgestreckt hatte und einen Job in den USA sicher hatte, ließ er sich von Hübotter überreden zu bleiben und mit ihm ein Büro zu gründen. Es war 1961, Richard Bödeker war 26 Jahre alt, als sich seine Zukunft als Planer entschied: Die Arbeitsgemeinschaft Hübotter & Bödeker, zwischen den Herren lagen 40 Lebensjahre, machten jeden möglichen Wettbewerb mit und gewannen jeden zweiten, eine höchst erstaunliche Quote. „Unser Büro explodierte vor Aufträgen, wir wusste nicht wohin mit der Arbeit.“ Nach zahlreichen Großprojekten, unter anderem Bundesgartenschauen, stießen 1971 die Landschaftsarchitekten Horst Wagenfeld, Armin Boyer und Vilmos Kren zu Bödeker und Wilhelm Hübotter, der weit über siebzig Jahre alt war und sich zurück zog.

Eher durch Zufall – das Gebäude, in dem sein Büro in Bad Honnef untergebracht war – sollte abgerissen werden – zog er ins Neandertal, zur Cousine von Wilhelm Hübotter. „Eine wunderbare Frau, die vor allem wunderbar kochen konnte“, betonte Bödeker. Gutes und vor allem ausreichendes Essen waren für Richard Bödeker immer äußerst wichtig. „Wenn mein Hunger zu groß wird, werde ich unangenehm. Das war schon immer so“, leitete er häufig den Vorschlag ein, seine Gäste zum Mittagessen einzuladen. Als er sich auf 35 m² bei Emmi Sommer als „möblierter Herr“ eingerichtet hatte, kam bald eine Anfrage aus dem nahegelegenen Hochdahl. Für die Neue Stadt Hochdahl, eine Entlastungsstadt für Düsseldorf, galt es die Freiflächen zu gestalten. Ab Mitte der 1960er Jahre begleitete Bödeker, bald in Arbeitsgemeinschaft mit Professor Hermann Birkigt, federführend dieses Projekt und erlangte damit große Aufmerksamkeit. Im Neandertaler Büro ging es beengt und provisorisch zu und mit der zunehmenden Enge nahm Richard Bödeker intensiver die Gebäude der Deutschen Bahn gleich gegenüber in Augenschein. Anfang der 70er Jahre konnte er für 1000 Deutsche Mark das längst außer Betrieb genommene Toilettenhäuschen kaufen und baute es zum Wohnhaus um. Das Grundstück drum herum wurde im Laufe der Jahre zu einem paradiesischen Garten, in dem durch Pflanzen und Zierrat Bödekers Weltläufigkeit zum Ausdruck kommen sollte. Mit dieser Umwandlung setzte Richard Bödeker einmal mehr einen Gedanken in die Tat um, der bei den meisten Menschen eben nicht weiter kommt als zum Gedanken, der vor lauter Absurdität verworfen wird. Bald konnte er den in Teilen maroden und doch wertvollen Bahnhof anmieten, dort u.a. sein Büro einrichten und das denkmalgeschützte Gebäude rund zwanzig Jahre später kaufen und sanieren. Weitere 8000 Quadratmeter Grundstück, größtenteils sehr steiles Gelände, kamen mit dazu und wurden nach und nach von ihm gestaltet.

Der Umzug ins Neandertal und der Immobilienerwerb waren dem Mitte Dreißigjährigen möglich, weil er schon in jungen Jahren gutes Geld verdient hatte. Wilhelm Hübotter hatte von Beginn an 50/50 gemacht, was Richard Bödeker als überaus großzügig empfunden und sich ihm als Geste tief eingebrannt hatte. Sein dank Hübotter schon früh einsetzender Bekanntheitsgrad, der fest untermauert wurde von seinem überzeugenden Wesen sowie seinem botanischen und technischen Wissen, führte ihn Kreisen zu, in die man normalerweise nicht so einfach kommt als junger Planer. Schicksalshaft für Richard Bödeker war dann der Kontakt zu Heinrich Thyssen-Bornemiza Ende der 60er Jahre, der auf Rhodos viel Land hatte kaufen können, das Bödeker gestalten sollte. Dazu kam es nie, was Bödeker nie wirklich bedauerte. „Ich fand es immer schon ungerecht, wenn Ausländer mal eben 500 Hektar kaufen können und die Einheimischen haben nichts davon“, so Bödeker später. Doch durch die Beschäftigung mit Trockengebieten war ein Funke zur Flamme geworden, die bis zu seinem Tod nie wieder verlöschen sollte. Es war 1973, als Rüdiger Thoma vom Düsseldorfer Architekturbüro HPP auf Bödeker zukam und ihn fragte, ob er Lust auf Saudi-Arabien habe. Kein Land war ihm bis dahin so fremd gewesen wie der noch sehr rückständige, aber nach Anschluss suchende Wüstenstaat. Doch kein Land konnte Richard Bödeker fremd genug sein – er sagte zu.

Es ist kein Zufall, dass der Name Richard Bödeker in Fachkreisen in erster Linie mit Saudi-Arabien in Verbindung gebracht wird. Als König Faisal mit den Hochbauarchitekten auch ihn an den Persischen – oder, wie er schnell lernte – an den Arabischen Golf holte, konnte sich Bödeker nicht auf Erfahrungen Anderer stützen. Er fing bei Null an. Das, was er mitbrachte, waren Kenntnisse der Vegetation Griechenlands und der englischen Sprache, entwerferische Gabe und technisches Wissen, aber nicht zu unterschätzen: Hinzu kamen eine ihm gegebene Unerschrockenheit und die Gabe, ohne viel Wirbel großen Eindruck zu machen. „Es war oft so:“, gab er zu. „Ich stand da und der Andere wusste, den krieg ich jetzt nicht mehr weg.“ Nach kürzeren Welterfahrungen im Libanon, in Japan, Frankreich, auf den Seychellen oder in Paraguay, schlug er mit Saudi-Arabien ein dickes Buch auf, das sein aussetzendes Herz hat zuschlagen müssen. Das, was er und seine zahlreichen Mitstreiter auf der Arabischen Halbinsel zustande gebracht haben, ist in der Welt der Landschaftsarchitektur einmalig. Ein Deutscher kommt dorthin, wo die Wiege der Kultur und der Gartenkultur liegt und zeigt den Menschen, wie sie den Weg zurückfinden zu dem, was sie seit langem verloren haben: Gärten. Doch Richard Bödeker und alle, auf die es ihm immer wichtig war hinzuweisen und die hier nicht im Einzelnen aufgezählt werden können, haben mehr gemacht, als Gärten und Parks in Saudi-Arabien, vorwiegend in Riyadh, angelegt. Allem voran mit dem Diplomatenviertel haben sie ab den achtziger Jahren ein Stück saudischer Stadtplanung geschrieben. Sie haben aus einer hellbraunen Mondlandschaft ein von grünen Achsen und kleinen und größeren Parks durchzogenes Stadtviertel gemacht, das sich, entgegen des royalen Leitbildes, bis zum 11. September 2001 zum beliebten Naherholungsgebiet in der Stadt entwickelte. Und so wurden der Tumamah Park am Stadtrand zu einem zweckdienlich genutzten Naturschutzgebiet, die Gärten am Historischen Museum zum Treffpunkt mitten in der Stadt, verschiedene Wadis zu traumhaften Erholungsorten, brachiale Verkehrsachsen zu parkgesäumten Linien und alle anderen Grünprojekte zum Segen der dort lebenden Menschen.

Dass an Richard Bödeker etwas wirklich Besonderes war, bestätigen alle seine Kollegen und Mitarbeiter – zweifellos neidlos. Die meisten von ihnen, die mitunter viele Jahre in Riyadh verbracht haben, versuchten anfangs immer, in die saudische Gesellschaft aufgenommen zu werden, Freunde zu finden, den Saudis auf Augenhöhe zu begegnen. Mit Saudis ist das fast unmöglich, aber eben nur fast. Richard Bödeker hat, wie auch immer er zu der Ehre kam, die Hand des Königs geschüttelt, als dieser noch Gouverneur von Riyadh war. Er wurde von Prinzen, von Söhnen und Enkeln des Staatsgründers in deren Häuser eingeladen, er wurde „Freund“ genannt, er war mehr als nur Ratgeber in Gartenfragen. Prinz Abdullah bin Faisal bin Turki Al Saud, einer derer, die ihn „Freund“ nannten, charakterisierte Richard Bödeker vor einigen Monaten eher beiläufig beim Erzählen so: „Was ich an Richard besonders schätze ist, dass er ganz klare Prinzipien hat, die er nicht aufgibt. Und dass er bei seinen Planungen immer an die ganz normalen Menschen denkt und wie er ihnen mit Grün Freude machen kann.“

Richard Bödeker war gerade durch seine Standhaftigkeit, seinen eisernen Willen und seine Beharrlichkeit kein bequemer Zeitgenosse. Durch sein Büro sind Hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegangen, darunter sein Sohn Jens, der dieses Büro vor Jahren geschäftsführend übernommen hat. Niemand würde behaupten, die Zusammenarbeit mit Richard Bödeker wäre leicht und immer angenehm gewesen. Wer Gärten anlegen will, tut zweifellos Schönes und Gutes. Aber wer grüne Stadtplanung betreiben will – und das ist Richard Bödekers Ziel von Hochdahl bis Riyadh gewesen – der stößt auf Widerstände, wird von anderen Disziplinen nicht selten geringgeschätzt und häufig belächelt. Courage und Unbeirrbarkeit, gepaart mit Gesprächsbereitschaft und, es mag hier sonderbar klingen, gepaart mit Charme, massiger Statur, klarer, deutlicher Stimme und grauem Rauschebart, sind nicht ganz unwichtig, wenn es darum geht, Ziele durchzusetzen. Das ist ihm gelungen.